Uwe Friesel

  Der dalmatinische Doppelgänger


Dubrovnik ist teuer, inzwischen. Für einen schweißtreibenden Rundgang auf der Stadtmauer zahlt man fünfzig Kuna. Das sind sieben Euro. Ein Teller Spaghetti alla Pescatore kostet elf Euro.

Ich hatte das schon geahnt. Jedoch auf der nahen Halbinsel Peljeschatz, hatte ich mir bei der Reiseplanung gedacht, fände ich gewiss eine preiswerte Pension und wäre trotzdem praktisch noch in Ragusa. Jedenfalls historisch betrachtet. Ich bin Hobby-Historiker. Besonders die mächtigen Stadtstaaten des Mittelalters und der Renaissance interessieren mich. Zwar bedeutet mir die Historie nicht so viel, dass ich sie zu meinem Beruf gemacht hätte. Beruflich bin ich Postbeamter und auch ganz zufrieden damit. Aber eine Art Berufung ist sie mir doch.

Historisch betrachtet hängt die Halbinsel Peljeschatz eng mit Dubrovnik zusammen: Die einst Ragusa genannte Stadtrepublik hatte sie im Jahre 1333 samt den vorgelagerten Inseln gekauft, später auch den zugehörigen Küstensaum auf dem Balkan (die genaueren Kaufumstände muss ich noch ’rausfinden), und schon bald wurde das Salz der Salinen bei Ston dank der stattlichen Schiffsflotte von Ragusa weltweit vermarktet. Das war im Mittelalter. Heute vermarkten die Bauern und Fischer der Peljeschatz ihren Wein, ihre Austern, ihre Muscheln und auch ihr Salz lieber selbst und vor der Haustür. Fünf Euro für ein Jutesäckchen Salz mit Schleifchen. Sie sind nicht arm. Man hat jedenfalls nicht dieses peinliche Gefühl, als Gast immer zu wenig Trinkgeld zu geben. Sehr angenehm.

Nach einigem Überlegen habe ich mich in Prapratno eingemietet. Es ist noch Vorsaison, und den wunderschönen halbmondförmigen Sandstrand habe ich fast für mich allein. Mit nur siebzehn Grad Wassertemperatur hatte ich zu dieser Jahreszeit allerdings nicht gerechnet.

Überhaupt habe ich mich auf dieser Reise schon ein paar Mal verrechnet.

Es begann mit der Autofähre von Bari nach Dubrovnik. Sie kostete mehr als das Doppelte dessen, was der ADAC aufgelistet hatte. Dann mußte ich gleich bei der Ankunft Strafe zahlen, weil mein „D“ für Deutschland nur auf dem blauen Europastreifen des Nummernschilds zu lesen war, nicht aber als gesonderte weiße Plakette daneben. „Wir nix EU!“, knurrte der Polizist. Und das, obwohl sich die Kroaten längst um die Mitgliedschaft beworben haben. Da könnte doch ein bißchen vorauseilende Freundlichkeit nicht schaden!

Wie zum Trost nun diese vielleicht etwas renovierungsbedürftige, aber im übrigen ideal gelegene Herberge in Prapratno. Vom Schatten meines Balkons blicke ich über die smaragdgrüne Bucht, milchigblau im Dunst des Vormittags die Insel Mljet vor Augen, zu der sich eben links im Bild ein antiquiertes, mit Bussen und Personenwagen vollgestopftes Trajekt in Bewegung setzt.

Die Balkone hier sind sehr groß, regelrechte hängende Gärten mit all dem Hibiskus, der Bougainvillea und den seitlich heraufragenden Oleanderbäumen. Ganz richtig, Bäume. Die Oleander haben hier Baumgröße. Ich betaste meine Stirn und meine rechte Wange. Sie sind geschwollen, so dass das Brillengestell anstößt. Schmerzen tun sie auch. Die Haustochter hat mir eine kühlende Salbe gebracht, von der Großmutter aus verschiedenen hier wachsenden  Heilpflanzen zusammengemixt. Soll Wunder wirken. Ob das stimmt, muss sich erst erweisen. In einen Spiegel gucken mag ich jedenfalls nicht.

Denn trotz des traumhaften Rundblicks bin ich im Geist immer noch bei meinem gestrigen ersten Besuch in Ragusa. Ja, Ragusa. Nicht Dubrovnik. Wie schon gesagt, interessiert mich vor allem die Geschichte: die römischen Gründungen Epidaurum und Laus, die gotisch-renaissantische Vereinigung und Vermengung von Insel und Landzunge, das Eingreifen von Venedig, die vielen Befreiungsversuche im 13. Jahrhundert und das endliche Losreißen aus der Umarmung der herrischen Serenissima.

Ragusa, ja. Aber dann kam alles anders. Und jetzt mal der Reihe nach.

Nach fast zwei Stunden Autofahrt über die kurvenreiche Küstenstraße war es mir gelungen, trotz des Andrangs in der Altstadt meinen VW unterhalb der Stadtmauer zu parken, ich war durch das Südtor gegangen, vorbei an Kirchenmauern und schön ziselierten Heiligen in Halbrelief, und hatte mir durch die Pulks der Touristen einen Weg bis zur Piazza Luză gebahnt. Hier kann man eigentlich gar nicht anders, als am Roland vorbei die Hauptstraße Stradun anzusteuern. Diese hat es in sich. Nicht nur ist sie eigentlich ein zugeschütteter Kanal zwischen Insel und Festland, sondern sie ist auch in Trompe-l’œil-Manier so raffiniert zum Ende hin verengt, während gleichzeitig die Gebäude an beiden Seiten niederiger und niedriger werden, dass man glaubt, sie sei endlos. Dabei mißt sie nicht einmal dreihundert Meter, der Länge nach. Und wie ich so über die Stradun flaniere, noch unschlüssig, wo nun anfangen mit der Besichtigung, ständig mehr oder minder kompakten Touristengruppen ausweichend, denen eine radebrechende Fremdenführerin vorausstapft, und dann noch eine zweite, gar mit einem Mini-Lautsprecher ausgestattet, der ihre dreisprachigen Verwirrsätze auch noch verstärkt, während sie gleichzeitig ein Schild mit
einer Zahl in die Luft hält, damit auch niemand aus der numerierten Gefolgschaft den Anschluss verliere – wie ich also noch unentschlossen abwechselnd auf Renaissance- und Barockfassaden und in die Schaufenster tief gestaffelter Schmuck- und Modeboutiquen blicke, leuchtet mir aus der schummrigen Tiefe einer dieser Verkaufshöhlen ein Strohhut entgegen. Er ist grob geflochten, mit ausladender Krempe. Auf den ersten Blick nichts Besonderes.

Doch das Andersartige an ihm, das, was mich überhaupt erst zu seiner Entdeckung befähigt, ist das dalmatinische Hutband: nicht schwarz wie normalerweise, sondern gefleckt wie jene einhundertundein virtuellen Dalmatiner aus dem Disney-Film. Ein gewissermaßen auf den Hund gekommenes, schwarz-weißes Hutband.

 

Wie jedermann weiß, sind Panamahüte in der Regel elegant und teuer. Das schwarze Hutband aus dehnbarem Krepp paßt sich der Kopfgröße an. Ein zusammengepreßter Panamahut entfaltet sich wieder zu alter Schönheit, sobald er aus dem Koffer befreit wird. Noch stehe ich draußen vor dem Fenster, irritiert von dieser geschmacklosen Variante, indes, die schlanke, hübsche Verkäuferin hat meinen prüfenden Blick bereits  bemerkt, ist auf hohen Hacken ins Dunkel geeilt und hat mit sicherem Griff den Hut vom Regal geangelt. Dazu sollte man vielleicht wissen, dass ich noch einen Rest rötlichen Haars auf dem Kopf trage und ebensolche Koteletten, um den Gesamteindruck etwas in Richtung Jugend zu verschieben – Jugendlichkeit ist ja heutzutage sehr wichtig, sogar im Postdienst – dass ich aber knallrot anlaufe wie ein Hummer in kochendem Wasser, sobald mich die ersten Sonnenstrahlen treffen. Das ist auch der Grund, warum ich zwar immer schon Altertumskunde betrieben habe, aber nie Archeologie, schon gar nicht in sonnendurchglühten Wüstengebieten wie etwa dem Irak, obwohl es gerade dort am ergiebigsten wäre. Sein könnte. Sein sollte. Doch die Umstände sind nicht danach, derzeit.

„Was kostet denn dieser Hut?“ frage ich (...)

 

(aus: „....und Bosnien, nicht zu vergessen“, Anthologie zum Thema Das Fremde in uns,  Vlg. Das Bosnische Wort, Tuzla und Wuppertal 2008)

 

 

Zurück

 

 

 

 

 

 

Literarische Texte

Jugendstil (deutsch)

Art Nouveau (english)

Jugendstil (svenska)

Der dalmatinische Doppelgänger

Die Muskeltiere

Reden & Essays (deutsch)

Essays (english)


Literarische Projekte

Neue E-Bücher im "Verlag Expeditionen" (deusch)

Das Fremde in uns (deutsch)

Das zweite Bosnien-Projekt (deutsch)

Literarische Spaziergänge (deutsch)

Leben, Liebe, Zeit und Vergänglichkeit
(Ein Multi-Media-Projekt, deutsch)

 

Sekundärliteratur

Sekundärliteratur / Reference books
und Pressestimmen / Press reviews

Home | Biografie | Bibliografie | Aktuelles | KontaktLinks | Copyrights | Impressum

Schriftsteller / Author

 

 

 

 

 

 

 

 

ßßßßßßßßßßßßßßßß